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Libyen - "Guck du lieber mal nach vorne"

Reisebericht von Kalle Finger

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Libyen, Erg Ubari, auf der direkten Strecke von Gabron nach Brak: Wir folgen dem gut sichtbaren Spurenbündel in dem breiten Dünental nordwärts. Wie so oft wenn es das Gelände zulässt oder auch zuzulassen scheint , schweifen meine Blicke in die Ferne, nicht nur um die wunderschöne Dünenlandschaft zu genießen, sondern auch immer wieder um auszuloten, wo man hier die Dünen queren könnte. Im Laufe der letzten Jahre habe ich darin einen gewissen Ehrgeiz entwickelt. Vielleicht ist das sogar schon zu einer Art Manie geworden. Claudia, meine tapfere Beifahrerin, bedient den Funk. Sie macht die Nachfolgenden auf besondere Gefahrenpunkte aufmerksam – man ist ja schließlich unter Freunden - oder sie hält ein Schwätzchen. „Wer ist heute mit Kochen dran, was steht auf der Speisekarte, haben die Mopeds noch genug Sprit im Tank“ und ähnliche überlebenswichtige Angelegenheiten werden da besprochen. Als Claudia gerade mal wieder zu einer eher harmlosen Verkehrsdurchsage angesetzt hat, bemerkt sie plötzlich unmittelbar vor uns ein übles Loch und registriert gleichzeitig in böser Vorahnung aus den Augenwinkeln, dass sich meine Blicke mal wieder an einem entfernten Dünenkamm festgefressen haben. Abrupt unterbricht sie den gerade begonnenen Warnhinweis und schleudert mir ein „Guck Du lieber mal nach vorne“ rüber. Ich gehorche aufs Wort und kann so dem hinterhältigen Hindernis noch gerade so ausweichen, allerdings nur suboptimal. Für mich ist die Sache damit auch schon erledigt. Diesen Satz höre ich doch nun öfter und weiß ihn zu schätzen. Hat er uns doch schon vor manch harter und schräger Überraschung bewahrt. Bei dieser ganzen Aktion hat Claudia vergessen die Sprechtaste des Funkgerätes loszulassen. So werden unsere Freunde unerwartet Zeuge unserer internen Kommunikation. Es muss für sie sehr lustig gewesen sein. Noch abends beim Essen amüsieren sie sich köstlich über diesen unfreiwilligen Live-Ausschnitt aus unserer Pistenzweisamkeit.

Die Reise hat natürlich nicht in Gabron begonnen. Die ersten Sondierungsgespräche finden bereits Anfang des Jahres (2006) statt. Im Frühjahr formiert sich dann die Reisegruppe. Mit von der Partie wollen sein: Toni, Geli und Angelika auf ihren Mopeds, Sascha mit Hund Gonzo in seinem Toyota, Jochen in seinem grünen Mercedes G, Ermanno, der Italiener, in seinem kurzen Landy und schließlich Claudia und ich in meinem Toyota.

Im Juni erreicht uns die erste Überraschung: Geli ist schwanger. Natürlich wissen Toni und Geli das schon länger, aber es hat sich als ratsam herausgestellt, mit dieser frohen Kunde etwas zurückhaltend zu sein. Während der Reise im Oktober/November wird sie im 7. Monat sein. Das Moped bleibt natürlich zu Hause, aber Geli könnte ja bei Jochen mitfahren. Sie möchte sich diese Option bis kurz vor der Reise offen halten. Ich kenne Geli schon länger und werde ihre Entscheidung mittragen.

Der Sommer wartet dann mit der nächsten Überraschung auf, allerdings dieses Mal mit einer richtig bösen. Zusammen mit einer großen italienischen Gruppe, mit der ich schon öfter unterwegs war, breche ich Ende Juli zu einer vierwöchigen organisierten Saharareise auf, die uns durch Libyen, Tschad, Niger und Algerien führen soll. Die Reise steht von Anfang an unter keinem guten Stern. Bereits in Tunesien gerät ein Italiener unverschuldet in einen Unfall und wirft in dessen Folge sein Auto auf der Asphaltstraße um. In Tripolis bleibt ein Toyota mit Motorschaden stehen. Kurz vor den Kufra-Oasen reißt mein Innentank, gefüllt mit 200 Liter Diesel, auf. Etliche Liter ergießen sich in den Innenraum. Im Tschad legt ein weiterer Italiener sein Auto auf regendurchweichter, glitschiger Piste ohne Fremdeinwirkung auf die Seite. Im Niger, bereits auf der Rückreise, wenige Kilometer nördlich von Agadem schlägt das Schicksal am 21. August gegen 17 Uhr endgültig richtig zu: Wir werden von schwer bewaffneten Banditen überfallen und verschleppt. Einer von ihnen steuert mein Auto. Ich sitze auf dem Beifahrersitz. Er fährt wie ein Besessener. Es passiert was passieren musste: Durch ein abruptes Lenkmanöver bringt er mein Auto dazu, sich einmal um die Längsachse zu drehen. Es bleibt völlig demoliert auf der Seite liegen. Im allgemeinen Durcheinander vergessen mich die Banditen einfach. Ich unternehme nichts, sie daran zu hindern. So bleibe ich zurück und kann mit Hilfe meines Satellitentelefons über Freunde das Krisenzentrum in Berlin alarmieren, das dann seinerseits noch in der Nacht auch die italienischen und lokalen Behörden aktiviert. Am nächsten Tag kommen 20 der 22 Verschleppten wieder zurück. Die Banditen haben meine Freunde in der Nacht ausgeraubt und die 20 dann wieder fahren lassen, während sie Claudio und Ivano sowie die Toyotas von Bruno und Alessandro mitgenommen haben. Mein Toyota wird wieder auf die Beine gestellt, und wir „Noch-Einmal-Davongekommenen“ setzen unsere Heimreise fort, ab Bilma bis zur tunesischen Grenze unter Militärschutz. Unterwegs erfahren wir, dass die Banditen – sie selbst bezeichnen sich als Rebellen – Claudio und Ivano als Geiseln genommen haben und sich mit ihnen in einem weitgehend verminten Gebiet im Tibesti versteckt halten.

Zuhause angekommen ziehe ich Bilanz: Einen gehörigen Schock, ein vollkommen demoliertes Auto und zwei Freunde in der Gewalt von Banditen mitten in der Sahara sind das Resultat. Kann ich unter diesen Umständen in 6 Wochen wieder in die Wüste fahren? Nach einigen Tagen Bedenkzeit entschließe ich mich, es zu wagen. Wenn ich es jetzt nicht tue, tue ich es vielleicht nie wieder. Das wäre zu schade. Ein Freund will mir netterweise seinen Geländewagen zur Verfügung stellen. Damit wäre dann ein Hauptproblem schon gelöst. Auch meine Reisefreunde sind zufrieden. Steht doch nun unserer gemeinsamen Fahrt fast nichts mehr entgegen.

Wir bekommen weiteren Zuwachs. Nein, Geli erwartet keine Zwillinge. Melanie, die Freundin von Sascha, kommt nun auch mit. Die Vorbereitungen gehen in die Endphase. Spät beauftragen wir eine libysche Agentur mit der Erledigung der notwendigen Formalitäten. Mit Shati Zuara haben wir eine sehr gute Wahl getroffen. Die Preise sind günstig, man ist sehr freundlich und spricht deutsch, die Abwicklung ist zuverlässig. Für die Verpflegung unterwegs testen wir ein neues Verfahren: Wir bilden 4 Gruppen. Jede besorgt die Zutaten für jeweils 4 Abendessen für die ganze Mannschaft und wird dann auch für deren Zubereitung in der Pampa zuständig sein. Das wird – hoffentlich – für eine abwechselungsreiche Küche sorgen und verteilt von Anfang an die Lasten gleichmäßiger als bisher. An meinem Leihwagen kann und will ich nicht viel rumbasteln. Die spärliche Inneneinrichtung muss einfach reichen. Lediglich für die beiden Funkgeräte und das GPS-Gerät baue ich eine provisorische Halterung zwischen die beiden Vordersitze. Geli fühlt sich sehr wohl. Sie hält Rücksprache mit ihrer Hebamme. Diese hat keine Einwände. War die Hebamme schon mal im Erg Murzuq?

Es ist Freitag. Gegen 19 Uhr wollen Claudia und ich in Richtung Genua losfahren. Bis um 17 Uhr muss ich im Büro bleiben. Ich bin diese Woche dummerweise auch noch für die Hotline zuständig. Gegen 16 Uhr bittet mich ein Kollege um einen Gefallen. Ich soll per Fernwartung bei der Feuerwehr in Leipzig eine Softwarekomponente, mit der ich eigentlich nichts zu tun habe, überprüfen. Sollte eigentlich ein harmloser Akt sein. Es kommt wie es kommen musste: Ich reiße – natürlich unbewusst – dieses mir unbekannte Stück Software nieder. Der Systemadministrator in Leipzig läuft Amok. Die Arbeit der Brandschützer ist stark beeinträchtigt. Gegen 18:30 können wir das System wieder zum Leben erwecken. Ich bin mit den Nerven ziemlich am Ende. Gegen 21:30 – also zweieinhalb Stunden später als geplant - fahren wir in Köln auf die Autobahn. Um 13 Uhr fahren wir am Samstag in Genua wieder runter. Im Hafen ist unsere Reisegruppe dann komplett: Sascha, Melanie und Hund Gonzo in ihrem Toyota HZJ78, Jochen mit Angelika in seinem grünen Mercedes 300 GD, Ermanno in seinem kurzen Landy, Toni und Geli in ihrem VW-Transporter mit zwei Mopeds drin und Claudia und ich in unserem Leihwagen, auch ein Toyota HZJ78. Noch im Hafen erreicht mich die frohe Kunde: Das italienische Fernsehen hat gerade gemeldet, dass Claudio und Ivano frei sind und heute noch in Verona landen werden. Ich bin glücklich. Eine schönere Nachricht hätte es in diesem Augenblick nicht geben können.

Die Überfahrt nach Tunis, die Fahrt zur libyschen Grenze und die Einreise in dieses Land verlaufen problemlos. Isam, unser libyscher Begleiter für die nächsten 3 Wochen, steigt bei Ermanno ein. Dieser ist zwar nicht begeistert - hat er doch gedacht, der libysche Polizist fahre in einem eigenen Auto mit Chauffeur – willigt schließlich notgedrungen ein. Am Dienstag erreichen wir Ghadames. Dort kann Toni seinen VW-Bus stehen lassen. Wir besichtigen die Altstadt. Der Besuch ist sehr empfehlenswert. Wir packen die Mopeds aus. Am nächsten Tag geht es dann endlich los. Geli, die werdende Mutter, steigt als Beifahrerin in Jochens Benz und Toni und Angelika sitzen endlich auf ihren Mopeds. Über Asphalt geht es noch bis Darj, doch dann endlich auf die Piste südwärts. Am frühen Nachmittag treffen wir auf eine Gruppe Libyer mit zwei Autos. Eines hat sich überschlagen. Der Fahrer hat eine Fleischwunde oberhalb des Knies. Sascha verbindet das Bein. Ich muss natürlich an meinen Überschlag von vor 8 Wochen denken. Was hätte da alles passieren können. Eine leichte Rippenprellung hatte ich mir zugezogen, das war alles. Wie es zu diesem Unfall hier gekommen ist, bleibt unklar. Wir fahren weiter und verlassen irgendwann die Piste. Zum Erg Ubari schaffen wir es leider nicht mehr und müssen auf der Ebene übernachten. Am nächsten Tag erreichen wir dann endlich die Dünen des Ergs. Endlich bin ich da, wo ich hin will. Es ist ein wunderschönes Gefühl, über die Dünen zu gleiten, diesen schier unermesslichen Formenreichtum betrachten und in sich aufsaugen zu können. Wenn es zu Hause mal wieder so einen grauenhaften, verregneten, sonnenlosen Tag gibt oder wenn im Büro mal wieder alles schief geht, was schief gehen kann, dann denke ich oft an diese grandiosen Sandlandschaften, denke ich daran, wie schön es wäre, wenn ich auf einer Düne sitzen und dieses Panorama genießen könnte. Manchmal wirkt das sogar. Claudia ist zum ersten Mal hier. Sie muss sich erst noch an das Dünen Fahren gewöhnen, an das ständige Auf und Ab, die Schräglagen, das Überqueren von Dünenkämmen, das Runterrutschen an den Schütthängen Doch sie freundet sich erstaunlich schnell mit dieser Fortbewegungsart an und findet zunehmend Vergnügen daran.

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Oued Aramt

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Stand: Sonntag, 29. Juli 2007.